Oft hört man den Vorwurf, Nutrias würden enorme Fraßschäden an Pflanzen verursachen und so Bestände bedrohen.
So wurde auch bei der Bewertung der Invasivität dieser Tiere ( zur Aufnahme in die EU- Verordnung ) vom BfN ( Bundesamt für Naturschutz ) im Skript 409, folgendes angemerkt:
" ... hohe Abundanzen führen zum Rückgang gefährdeter und geschützter Arten, z.B. Iris pseudacorus, Nuphar lutea, Nymphoides peltata (England, Ellis 1963; Italien, Prigioni et al. 2005,
Bertolino et al. 2005)"
Die hier genannten Pflanzen sind übrigens die einzigen die namentlich erwähnt werden und auch belegt Schaden durch die Nutrias genommen haben. Dabei sei aber bemerkt, dass es sich bei den
Vorwürfen um lokale Ereignisse handelt ( England und Italien ) und nicht um eine grundsätzliche Nahrungsvorliebe für diese Pflanzen.
Der Speiseplan der Nutrias ist, wie man in den verschiedensten Untersuchungen feststellen konnte, sehr breit gefächert und variiert sehr von Standort zu Standort und auch je nach Jahreszeit.
Ob also Untersuchungen aus England und Italien in diesem Fall 1:1 übertragbar auf deutsche Habitate ist, ist somit fraglich. Dennoch wurden oben erwähnte Pflanzen als Grundlage der Bewertung der
Invasivität der Nutrias in Deutschland genommen.
Die Pflanzen im Einzelnen
Iris pseudacorus - Sumpf-Schwertlilie
Diese wird zwar nach Bunderartenschutzverordnung als besonders geschützt eingestuft, gilt aber in Deutschland als nicht gefährdet.
Interessant ist, dass diese Pflanze recht giftig und besonders für Schafe und Rinder problematisch ist.
Die Giftstoffe bleiben auch nach dem Trocknen erhalten, sodass sie auch im Heu/ Silage eine Gefahr für das Vieh darstellen kann.
Und selbst Nutria und Bisam knabbern diese Pflanze wohl nur an, aber fressen sie nicht auf.
Zitat: "Toxic- 'Leaves and rhizomes contain glycosides that are not destroyed by drying or storage' (Sutherland 1990a). Iris pseudacorus causes gastroenteritis and diarrhea in sheep and
cattle. It is nibbled but not eaten by muskrats and nutria (Sutherland 1990; Thomas 1980)"
Beim Menschen können durch den Kontakt mit dieser Pflanze allergische Hautreizungen verursacht werden.
Nuphar lutea - Die gelbe Teichrose, Teichmummel
Sie wird ebenfalls als besonders geschützt eingestuft, gilt aber lt. BfN in Deutschland als ebenfalls nicht gefährdet.
Und auch sie ist giftig. Da es einen reine Wasserpflanze ist, ist sie somit für Nutztiere und Mensch weniger problematisch.
Allerdings gilt sie als besonders wuchsfreudig. Sosehr, dass man auch sie als " Plage " bezeichnet. Sie wuchert teilweise ganze Teiche zu und der Mensch selbst unternimmt Anstrengungen, sie auf
verschiedenste Art mühselig zu entfernen.
Nymphoides peltata - Die gewöhnliche Seekanne
Auch sie ist als besonders geschützt eingetragen, aber gilt im Gegensatz zu den anderen Arten auch als gefährdet.
Allerdings gilt sie bereits seit 1988 als gefährdet und als Ursachen werden u.a. neben Wellenschlag durch Boote, auch Gewässerverschmutzung angegeben.
Ebenso wie Überdüngung. Also praktisch Ursachen, die beim Menschen liegen und die man seit 1988 nicht wirklich beseitigen konnte, nun aber die Nutrias die "Bösen" sind.
Aber trotz Gefährdung wird auch diese Pflanze an lokalen vereinzelten Standorten, wo sie erfolgreich wächst und sich vermehrt, vom Mensch dann wiederum als Plage bezeichnet und von eben diesem
wieder vernichtet.
Was grundsätzlich für die Nutrias spricht ( und mit Sicherheit auch eines ihrer Überlebensrezepte ist ), ist, dass sie in ihrem Speiseplan nicht auf einzelne bestimmte Pflanzen spezialisiert
sind.
Sie nehmen mit dem Vorlieb, was sie vorfinden. Und das sind dann viele verschiedene Pflanzen und nicht nur eine Art, und von Standort zu Standort verschieden.
Hat man allerdings in einem Gebiet eine recht artenarme Vegetation, kann sich das natürlich auf einzelne Arten wiederum negativer auswirken.
und da ist noch die Binsenschneide
Mit der Binsenschneide, auch Schneidenried genannt, haben wir hier immerhin ein Beispiel, dass zumindest in Deutschland beobachtet wurde, ob auch belegt, ist allerdings nicht zu erkennen.
".. So tragen Nutrias am Unteren Niederrhein mit zum Rückgang der streng geschützten „Schneide“ einer extrem seltenen Röhrichtart bei. ..." ( Nabu NRW )
NABU KLEVE ( 2004 ) gibt Nutria sogar als alleinigen Verantwortlichen des Rückgangs des Schneidenried an:
"In den FFH-Gebieten Fleuthkuhlen (Krs. Kleve) und Krickenbecker Seen (Krs. Viersen) ist die Nutria verantwortlich für den Rückgang des prioritären FFH-Lebensraumtyps Schneidenried
(„Schneiden-Kalksumpf“), der landesweit ausschließlich nur noch hier vorkommt. (NABU Kleve 2004).
Liest man dann z.B. einen neueren Bericht ( Fleuthkuhlen Natura 2000 Maßnahmenkonzept 2013 ), heißt es plötzlich eine Gefährdung des Schneidenrieds bestehe durch Beschattung durch
Gehölze, Eutrophierung und Verbiss durch Graugans UND Nutria.
Also erstens haben die Nutrias dann wohl doch nicht diese Pflanze in dem Gebiet ganz ausgerottet,
und zweitens sind sie sicherlich nicht das Hauptproblem für eben diese Pflanze.
Zur Pflanze
Die Binsenschneide - Schwertried ( Cladium mariscus ),
eine mit derben und wintergrünen Blättern bis 2 m hohen Fruchtständen wachsende Röhrichtart.
Sie gilt als gefährdet, aber lt BArtSchV als nicht besonders geschützt
Den Namen Schneide verdankt sie den messerscharfen Blattkanten von denen sogar Verletzungsgefahr ausgeht. Gern gesehen an renaturierten Baggerseen, wo in einigen Bereichen Badegäste fern gehalten
werden sollen, an Schimmteichen dann eher weniger zu empfehlen.
Auch ist es die Röhrichtart mit dem geringsten Nährstoffbedarf, weshalb ihr Bestand an allen mitteleuropäischen Standorten zurückgegangen ist bzw. zurückgeht.
Allerdings ist die Nährstoffsteigerung nicht auf die Nutrias zurückzuführen, sondern auf die Stickstoffeinträge durch Landwirtschaft und Co. ( also wieder der Mensch ).
Aber auch klimatische Veränderungen werden als Ursache für den Rückgang gesehen.
Doch da man sich weder einer großen Lobby entgegenstellen möchte, noch das Klima derart beeinflussen kann, sind alle Augen auf die armen Nutrias gerichtet.
Sie sollen Schuld sein am Rückgang einer Pflanze, die auch ohne die Nutrias hier langfristig eher wenig Chancen hat. Die, wie dem Bericht Natura 2000 zu entnehmen, neben der Eutrophierung auch
durch die Graugans und Beschattung durch Gehölze gefährdet ist.
Fazit
Die enormen Schäden, die Nutrias anrichten sollen, sind bei näherer Betrachtung wesentlich geringer, sind lokaler Art, und betreffen teilweise Pflanzen, die auch vom Menschen "beseitigt"
werden.
Vor allem, wenn man sich vor Augen hält, dass viele Pflanzen eigentlich in erster Linie durch den Einfluss des Menschen überhaupt so geschwächt bzw. gefährdet worden sind.
Sicherlich ist es nicht gut, wenn Pflanzen in ihrem Bestand bedroht werden, aber es ist wie bei den maroden Ufern, die Nutrias sind eigentlich nur das letzte Glied in der Kette der
Einflüsse, werden aber für alles verantwortlich gemacht.
Und es gibt in Deutschland, so wie es sich darstellt, keinen einzigen dokumentierten Fall, in dem die Nutrias bisher tatsächlich alleine für den Rückgang einer Pflanzenart verantwortlich
waren.
Denn auch die zur Invasivitätsbewertung der Nutrias genannten Pflanzen wurden in mit hier nicht vergleichbaren Habitaten in England und Italien geschädigt.
Also eine eher zweifelhafte Grundlage, wenn man bedenkt, wie vielfältig und flexibel doch der Speiseplan dieser Tiere ist.
Eher bekommt man den Eindruck, man hätte verzweifelt nach Gründen für die Schädlichkeit der Nutrias in unsere Fauna gesucht, sowohl bei der Bewertung für die Invasivität, als auch bei den "
Beobachtungen" , die immer wieder aufgeführt werden, aber nicht nachgewiesen, geschweige denn wissenschaftlich erfasst sind.
Nutrias füllen hier in Deutschland eine ökologische Nische, darin sind sich alle Experten einig.
Und die Natur kommt mit Frasschäden, die auch bei oben genannten Arten nicht nur durch Nutrias entstehen können, oft besser klar, als mit rigorosen und radikalen Fäll- und Schneidearbeiten an
Ufern, massiven Nährstoffeinträgen und Umweltgiften durch den Menschen.
Und viele namenhafte Biologen / Ökologen halten grundsätzlich die Anwesenheit von "fremden Arten " in Mitteleuropa, vor allem abseits von begrenzten Inselsituationen, für weniger problematisch
bzgl. unserer Fauna und Flora als oft dargestellt.