Das Integration anscheinend heutzutage nicht reicht, um akzeptiert zu werden, sieht man am Beispiel der EU-Liste der invasiven Arten.
Darauf stehen bisher 37 Arten ( geplant ist eine Erweiterung ), die als invasiv gelten und von nun an bekämpft bzw. " unter Kontrolle " gehalten werden sollen. Darunter auch Myocastor coypus, bei uns bekannt als Nutria, Sumpfbiber oder Biberratte.
Gut ist es, darauf zu achten, dass sog. gebietsfremde Tiere nicht einfach so vom Menschen in einem Ökosystem freigelassen werden. Jedoch passierte das in der Vergangenheit und auch derzeit eigentlich ständig. Nämlich vor allem immer dann, wenn diese Tier oder Pflanzenart einen Nutzen für den Menschen hat.
Und so war es auch beim Nutria. Eingeführt im letzten bzw. vorletzten Jahrhundert aus dem fernen Südamerika, anfangs vor allem wegen seines Felles.
Als relativ unkompliziert zu haltende, zu fütternde und friedliche Tiere war es anfangs auch durchaus lohnend. Bei dem ein oder anderen war auch das Fleisch beliebt oder zumindest eine praktische " Beigabe " und ein Vorteil gegenüber anderen Pelztieren, die gezüchtet wurden.
Als nun der Markt für Pelz zusammenbrach und die Zucht und Haltung nicht mehr rentabel war ( denn wirklich große Nachfrage nach dem Fleisch gab es auch nicht ) , wurden viele Tiere einfach freigelassen .
Aber auch unter dem Aspekt der Nützlichkeit hatte man einigenorts Nutrias bewusst in unsere " heimische " Natur entlassen, um weitere Tiere zur Bejagung zu erhalten, als " Schädlingsbekämpfer " für den Bisam ( der durch die Nutrias vertrieben wird, weil diese seine Höhlen besetzen und ihn so verdrängen ), und zur Gewässerpflege z.B. im Münsterland ( man konnte dort so den Gewässerbewuchs " in Schach " halten und menschliche Arbeitszeit und Aufwand sparen ).
Nun haben sie sich im Laufe eines Jahrhunderts inzwischen an unsere Region,zumindest dort, wo die Winter nicht so hart sind, angepasst. Zwar fern ab der Heimat, aber sie haben hier eine ökologische Nische gefunden. Ein Lebensraum, der bisher so noch nicht besetzt wurde, außer vom Bisam und vom Biber, wo es sich in einigen Bereichen überschneidet, sie mit dem Biber aber in friedlicher Koexistenz leben. ( Ergänzung: Es gibt inzwischen sogar dokumentierte Viedeo-Beobachtungen, wo Biber und Nutria gemeinsam eine Höhle bewohnen )
Kein Nutria ist freiwillig hier anwesend und würde sich sicherlich in vielen Regionen ihrer ursprünglichen Heimat wohler fühlen.
Warum sollen jetzt sie dafür büßen und sterben, wo sie doch schon seit so vielen Jahrzehnten, zum Teil sogar fast unbemerkt , hier leben ?
Denn ein " Thema " sind die Nutrias in Deutschland eigentlich erst seit ca. 10 Jahren. Sicherlich ist die Anzahl der Tiere in freier Natur hier in diesem Zeitraum auch gestiegen, man sollte dabei aber auch bedenken, dass z.B. eine Bejagung bei diesen Tieren die Ausbreitung und die Reproduktionszahl erhöht. Und so kann man auch anhand der Zahlen feststellen, dass dort wo bejagt wird, die Zahl der Nutrias rasant gestiegen ist.
Zwar spielt in der Tat auch das Klima mit wärmeren Wintern eine Rolle, aber Kälteperioden reduzieren dennoch immer wieder schnell die Populationen. Zuviel Energie verbrauchen diese Tiere dann und zu wenig Futter finden sie in dieser Zeit und sehr schnell drohen dann Hungertod und Krankheit.
( Ergänzung 2023 zum Klima: auch vermehrte Hochwasserereignisse sowie trocken gefallene Gewässer spielen hier mehr und mehr eine Rolle als dezimierender Faktor )
Fast zeitgleich als der Fokus auf die Nutrias fiel, verlor man das "Interesse" an dem Bisam ( meist, und fälschlich Bisamratte genannt ), dem man enorme Schädlichkeit bzgl. Ufergrabungen nachsagte, wo aber die Versuche ihn zu dezimieren kläglich scheiterten. ( auch er reagiert auf Bejagung mit erhöhter Reproduktionsrate )
Ein weiterer Punkt ist, dass in dieser Zeit auch eine Veränderung der Landwirtschaft und Intensivierung der Bebauungen stattfand. Um möglichst viel Profit zu machen, reichen inzwischen vielerorts die Felder bis fast unmittelbar an die Gewässer. Immer mehr künstliche Ufer entstanden, mit Begradigungen und Steilufern. Hier hat man sich also die Ursachen für Uferschäden und ein Konfliktpotenzial mit möglichen Uferbewohnern selber geschaffen.
Wäre aber ebensogut wieder rückgängig zu machen ( man kann aus Fehler ja durchaus lernen ) . Zumal auch seitens der EU bzw. Wasserschutzrichtlinien Vorgaben bestehen, sogenannte Gewässerrandstreifen / Pufferzonen einzuhalten, was aber in leider sehr vielen Fällen bewusst und gezielt umgangen wird. Groß ist hier der Protest der Landwirte. Der nachgewiesene Vorteil für die Allgemeinbevölkerung wird zugunsten des Profits einzelner wieder ignoriert.
Nun haben Nutrias in den Augen vieler keinen Nutzen mehr für den Menschen. Und was keinen augenscheinlichen Nutzen hat, hat somit in den Augen mancher auch keine Daseinberechtigung mehr.
Da ist es egal, ob vorher diese Tiere so wertvoll waren, jahrzehntelang eingepfercht, ausgenutzt und getötet wurden für den Menschen, nur für den damals gefragten Pelz oder das Fleisch.
Dass Nutrias nachwievor den Bisam verdrängen ( aber nicht ausrotten ) spielt nicht mehr eine so große Rolle, weil man gesehen hat, dass es immernoch Schäden an Ufern gibt. Die Frage ist aber, sind überhaupt diese Tiere an diesen Schäden Schuld ? Denn Überschwemmungen und Schäden gibt es auch dort, wo diese Tiere nicht leben.
Und diese besagten Schäden, die wirtschaftlicher Natur sind, ist eigentlich das einzige, was den Nutrias vorgeworfen werden könnte. Und die Betonung liegt auf " könnte " , denn seltenst werden tatsächliche Schadensanalysen vorgenommen, sondern pauschal verurteilt.
Schäden anderer Art verursachen sie in der Regel nicht. Denn sie füllen bei uns eine ökologische Nische aus. Und hier sind sich fast alle sind einig, in naturbelassenen bzw. natürlichen intakten Gebieten fallen sie kaum auf. Sind also sozusagen bestens integriert. Und nicht nur das, viele Experten sehen in ihnen auch eine Bereicherung.
Der Mensch allerdings hat es grundsätzlich weltweit geschafft Arten unwiederbringlich auszurotten, unabhängig von geographischer Lage und Ökosystem.
Es ist zu begrüßen, dass man vielleicht durch die EU Verordnung künftig ein wenig überlegter mit der Verbreitung von neuen Arten umgeht. Sich allerdings auf Arten zu fokussieren, die inzwischen längst zu den heimischen gehören, weil es sie teilweise schon seit 100 Jahren bei uns gibt und wo bisher noch keinen stichhaltiger Nachweis erbracht wurde, dass sie hier unser Ökosystem massiv geschädigt haben, lässt wirklich sehr an dem Sinn dieser Liste, die ja angeblich dem Schutz der Artenvielfalt und Biodiversität dienen soll, zweifeln. Sinnvoller und nachhaltiger wären Schutz und Schaffung von Lebensräumen ansich. Es sei denn, es geht hier doch nur um wirtschaftliche Interessen.
Aber vielleicht kommt aber auch irgendwann die Idee aus Brüssel doch wieder das Mammut einzuführen , weil ja einst heimisch in Europa. ( die Biotechnologie könnte es durchaus umsetzen )
Aber bis dahin können wir doch auch problemlos mit den pflegeleichteren Nutrias vorlieb nehmen.
Immerhin existieren sie schon seit 30 Mio Jahren auf dieser Erde, es gab sie also schon lange vor den Mammuts ;)
keep calm & love nutrias
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Was damals eigentlich doch eher scherzhaft meinerseits geschrieben wurde, dass man das Mammut wiederbeleben könnte, ist inzwischen ernsthaft geplant. Allerdings nicht von Brüssel.
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